Theodor Däubler                   Päan und Dithyrambos  II.

1876 – 1934

 

Des Königs Phönix palmenschlanke Tochter,

Europa, weilt verträumt unter den Kindern;

Sie spielt nicht mit den Myrten-Kränze-Windern:

Wo kommt ihr goldner Prinz? Durch Locken flocht er

 

Sein Glutgeschmeid, aus Rosen unterjochter

Gebirge, mit den schneeverirrten Rindern:

Ihr klopft das Herz; den Schmerz wird Mondlicht lindern,

Es glänzt ins Schlummerschloß. O horch, nun pocht er

 

Im Traumgeschoß. Wer ruft? „So, dunkle Braut,

Ich bring dir Gold im hergestreuten Himmel:

Im Schoß empfang den Schatz, verbirg ihn traut!“

 

Europa schreckt empor. Erfreut – ihr graut –

Sie schreit nicht – ihren Mund drückt das Gewimmel

der Sterne zu. Sie küßt zurück – nun laut.

 

 

*

 

Europa findet Sterne auf der Wiese –

Durch Küsse naß – vom Nachthauche betaut.

Sie glänzen, wo das Auge sie erschaut,

Auch tanzt ihr Kranz, als ob er strandhin wiese.

 

Dort äugt ein Tier, unter den Stieren – Riese.

Ist weiß das Fell, wie schmelz der Rosenhaut?

Im Krausgelock des hellen Nacken kraut

Der Wind, als ob er Samt fürs Kind erkiese.

 

Europa folgt der Blicke blauem Wink:

Flink hilft der Wind ihr aufs geduckte Tier,

Und gleich entblitzt der Stier mit Blutgeblink.

 

Sein satz erschwingt die See auf Purpurbogen:

Ein Himmel ragt als prangender Saphir,

Und vor dem Paar zerprallen laut die Wogen.

 

 

*

 

Das Meer entzückt sich ob des Stieres Kommen

Und strahlt empor, als Halle aus Kristall:

Europa schwebt im Gang aus Wasserfall,

Sie atmet Glück, wird nicht beim Raub beklommen.

 

Poseidons Wohnflut weilt emporgeglommen;

Die Zitterwände spenden holden Hall,

Der Tethys Schmuck ist wahrhaft wie Metall,

Still durch die Wölbung ein Delphin geschwommen.

 

Das Wasser offenbart sich in Korallen,

Ein Mond im Meer besilbert Stier und Maid;

Das ist kein Reiten, Rasten – sondern Wallen.

 

Es schleiern Perlen auf Europas Kleid,

Verkrampft sind unter Zeus des Kraken Krallen:

Wie weit bleibt seiner Sternenbraut das Leid!

 

 

*

 

Es welkt auf Kreta nimmer die Platane,

Wo Zeus die Stierverhüllung fallen ließ,

Europa auf dem Vlies zur Minne wies,

Des Tieres schwerblut aufwallte zum Wahne

 

Geschäumter Sprachen überm Ozeane:

Des Abendsterns Atymnos Glanz verhieß

Den Ida-Hängen Hellas’ Paradies

Und schwand wie ein enthimmelter Titate.

 

Nun herrschte Zeus allein auf Klüften,

Wo Amaltheias Euter ihn gesäugt;

Er schlang die Arme um der Jungfrau Hüften,

 

Der blaue Blick, der sie beim Stier beäugt,

Erwachte wie ein Tag mit Myrten-Düften,

Als sich der Gott zu ihrer Glut gebeugt.

 

 

*

 

Europas Mondblick fleht um dunkle Stunde,

Und Zeus ergibt sich ihr im Höllenschoß,

Des Paares Liebe schlingt der Sonnen Los:

Nun küßt von blauem Sterne Zeus die Kunde.

 

Wie kühlt das Weib ein Meer auf süßem Munde,

Der Hoffnungsmorgen Moos betaut sich bloß:

Zum Gott, o Sonnenkluft, bleib wolkenlos!

Die Weltkluft füllt das Heil der Weibeswunde.

 

Ein Wonneglück entscheidet Sterngefechte,

die Himmelsfehde schlichtet Minos’ Blut;

Dem Wesen Zeus’ entringt sich der Gerechte,

 

Als Mensch geborner Sohn, in Gottes Hut.

Im Schoß der Mutter glüht er Blitzgefechte

Der Zukunft Kretas: eignes Krönungsgut.

 

 

*

 

Zu Knossos konnte Zeus den Ring erneuern,

Aus dem ein Sohn Besonnenheit entlieh,

Damit der Mensch das Götterwerk vollzieh,

Sein Herz vermochte Minos zu erfreuen:

 

Ersprossen, neunmal frohe Saat zu streuen,

Da achtfach schon der Weltentag gedieh,

Doch Schlaf der Hadernden vollbracht er nie:

Erneunte Neukunft sollte Zwiste scheuen!

 

Des Stieres Zähmung wurde Minos’ Tugend,

Bei Sonnenspiel erheiterte sich Blut:

Sein neuntes Wunder war die Zucht der Jugend.

 

Von Wald ümkränzt, hat gut die Flur geruht.

Gestirne, freundlich durchs Gewölke lugend,

Ereigneten, auf See, dem Süden Hut.

 

 

*

 

Nun herrschte der Stier, ohne Irrweg am Himmel,

Mit Tänzern bekränzt, wurde Kreta der Sitz,

Ihm folgte die Sonne, gehorchte der Blitz:

Die Jünglinge schwirrten mit Schellengebimmel.

 

Der Mond blieb sein Diener, auf schillerndem Schimmel

Erraffte er Jungfrauen, raubenden Ritts:

Sie kamen in Seide, mit seitlichem Schlitz,

Und wogten im Winde, wie Wolkengewimmel.

 

Der Stier war als männliche Gottheit erschienen

Und trug die Umwandlung, die Zeus hinterließ;

Nun sollten ihm Kinder in Leibeslust dienen.

 

Sie legten sich still zu dem blutwarmen Vlies,

Doch spürten die Herzen des Himmels Lawinen,

Als ob sie der Frost von Gestirnen umblies.